Probleme beim tierärztlichen Notdienst

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Kategorie: Aktuelles Tierhalter

Verfasserin: Dr. Viola Hebeler
Tierärztliche Notfallversorgung
Schreck am Abend… Der Hund ist krank! Tierbesitzer merken es immer öfter, es ist nicht mehr so einfach, für einen „tierischen“ Notfall nachts oder am Wochenende tierärztliche Hilfe zu bekommen. Tierarztpraxen haben geschlossen, bei Anrufen erreicht man nur die Mailbox, und auch bei der Tierklinik im Nachbarort (die seit neuestem Tiergesundheitszentrum heißt) ist keiner mehr da.
Was ist da passiert? Tierärzte sind doch dazu da, Tieren zu helfen, wenn Not am Mann ist – und wie weiland James Herriot – ständig und immer. Oder nicht?
Im Grunde hat das Problem mehrere Ebenen, die sich seit neuestem unglücklich addieren.
Arbeitszeitgesetz
Ständigen Notdienst anzubieten, ist für Praxen mit Angestellten fast unbezahlbar geworden. Ein neues Urteil zum Arbeitszeitgesetz hat eine unerfreuliche Tatsache in den Fokus gebracht, die seit Jahrzehnten gern übersehen wurde. Angestellte Tierärzte, die Notdienst leisten, also nachts oder am Wochenende arbeiten, bekamen fast nie die vorgeschriebene Ruhezeit von 11 Stunden nach einer solchen Schicht. Um diese Ruhezeit aber gewährleisten zu können, müssen natürlich mehr Tierärzt/innen eingestellt werden. Das, aber, rentiert sich nicht. Nun könnte man argumentieren, dann muss so eine Leistung eben durch andere Leistungen quersubventioniert werden, und quasi als Dienst am Kunden zu nicht kostendeckenden Tarifen angeboten werden. Dies, jedenfalls, ist die Einstellung vieler Tierbesitzer.
Leider ist es seit Jahrzehnten stetig schlechter um die wirtschaftliche Lage der deutschen Tierärzte bestellt, so dass jetzt einfach kein Spielraum mehr ist. Ein Blick auf die Statistik der Durchschnittseinkommen verschiedener Berufe zeigt dies überdeutlich.
Rentabilität
Tierärzte dürfen in Deutschland nur innerhalb eines gesetzlich festgesetzten Gebührenrahmen abrechnen. Dieser Rahmen wird vom Landwirtschaftsministerium nach Absprache mit den großen Tierhalterorganisationen (Bauernverband, Verband für das Deutsche Hundewesen und die Deutsche Reiterliche Vereinigung) festgesetzt. Die letzen Gebührenerhöhungen waren 1998, 2008 und 2018, jeweils um 10 oder 12 Prozent. Das deckte noch nicht einmal die Inflation, von den jahrelangen Vorfinanzierungen bis zur nächsten GOT-Erhöhung ganz abgesehen, und es heißt konkret, dass der tierärztliche Gewinn seit 20 Jahren stetig gesunken ist. Von einem Beruf mit gutem Image, hoher Stundenzahl aber ordentlichen Verdienstmöglichkeiten scheint nur die Stundenzahl geblieben zu sein.
Bei den Verhandlungen zur tierärztlichen Gebührenordnung werden Interessen von Tierhaltern regelmäßig über das berechtigte Interesse der Tierärzte gestellt. Bei den letzten Verhandlungen gestand der zuständige Minister zu, dass eine 20%ige Erhöhung durch den Anstieg der Grundkosten (Miete, Personal, Ausstattung, Energie, etc.) sachlich absolut berechtigt sei, er aber nur einer 12%igen Erhöhung zustimmen könne, damit Tierhalter nicht abgeschreckt würden, mit dem Tier zum Tierarzt zu gehen.
Da Tierärzte sich nicht wehren, sondern wie ihre Patienten still leiden, gab es durch die jahrzehntelang sinkende Rentabilität lange Zeit nur interne Verschiebungen. Die Gewinne und damit die Einkommen der Praxisinhaber sanken seit den 80ern langsam, aber stetig, und die Gehälter der Angestellten gingen denselben Weg. Viele (schlecht bezahlte) angestellte TierärztInnen suchten den Weg in die Selbständigkeit in der
Hoffnung, das eigene Einkommen dadurch zu verbessern. Dadurch erhöhte sich die Anzahl der Praxen wesentlich, aber natürlich verteilte sich das Patientenaufkommen auch entsprechend, so dass für jede Praxis letztendlich im statistischen Mittel weniger übrig bleibt, während Grundkosten wie Miete, Energie und Personal stetig stiegen. Auf einen Rechnungsbetrag von 100 Euro müssen Tierbesitzer noch 20 Euro Mehrwertsteuer zahlen, aber am Ende bleiben für den Praxisinhaber im nach Abzug aller Unkosten, Sozialabgaben und Steuern lediglich 8 bis maximal 16 Euro übrig. Davon kann man keine großen Sprünge machen.
Für eine Erhöhung der Personaldecke, um das Arbeitszeitgesetz einhalten zu können, reicht der Umsatz in immer mehr Praxen und Kliniken nicht mehr aus. Und die Praxen, die dringend einstellen wollen, finden keine Tierärzt/innen mehr, die im Schichtdienst arbeiten wollen, wie es eine Rund-um-die-Uhr Versorgung erfordert. Für ein realistisches Gehalt von 2000 bis 3000 Euro will heutzutage niemand mehr nachts und am Wochenende arbeiten.
Wer jetzt entsetzt ist, frage sich kritisch, ob er bereit wäre, mehr Geld beim Tierarzt zu bezahlen. Im Gegensatz zu fast allen anderen westeuropäischen Ländern ist Tiermedizin in Deutschland tatsächlich sehr billig.
Work-Life-Balance
Für den Zusammenbruch des Notdienstsystems gibt es aber noch mehr Gründe als das schnöde Geld allein. Seit vielen Jahren ist Tiermedizin zu einem fast ausschließlich weiblichen Beruf geworden. 9 von 10 Absolventen sind Frauen. Für diese ist der Familienalltag wichtiger als für Männer. Familienfreundliche Arbeitszeiten, Teilzeitstellen, aber auch kleine Praxen, die wegen der Kinder nur wenige Stunden täglich geöffnet sind, sind inzwischen prägende Einflüsse in der Berufslandschaft. Work-Life-Balance ist das Schlagwort des Jahrzehntes geworden. Der tierärztliche Nachwuchs ist es schlicht leid, für ein Butterbrot überdurchschnittliche Dienste in einem fachlich und emotional extrem anspruchsvollen Job zu leisten.
Und die Praxisinhaber?
Aber halt, da gibt es doch noch die Praxisinhaber, für die kein Arbeitszeitgesetz gilt. Warum machen die nicht den Notdienst und helfen den Tierbesitzern in Not, wozu sie ja eigentlich moralisch verpflichtet sind?
Hier ist es vielleicht an der Zeit, sich den normalen Tagesablauf einmal zu vergegenwärtigen. Auf einen Notdienst, also nächtliche Bereitschaft und Versorgung von Notfällen, folgt für einen selbständigen Tierarzt kein Ruhetag, sondern es geht jeden Morgen, wie gewohnt, mit der normalen Arbeit weiter. Gleiches gilt für durchgearbeitete Wochenenden. Als man als Tierarzt noch gutes Geld verdiente, und sich auch irgendwann einen ordentlich bezahlten Assistenten leisten konnte, konnte ein Tierarzt das für eine gewisse Zeit aushalten. Heutzutage ist das durch das gesunkene Einkommen aber zum Dauerzustand über viele, viele Jahre verkommen, und das hält physisch und psychisch kaum jemand aus. Die emotionale Belastung durch den ständigen Umgang mit leidenden Tieren und gestressten Besitzern ist nicht zu unterschätzen. Alkoholismus- und Burn-out Raten unter Tiermedizinern sind spektakulär hoch, und jeder praktizierende Tierarzt kann erklären, woher das kommt.
Anspruchsdenken der Tierbesitzer
Insbesondere erschwert, und hier sollten Tierbesitzer genau mitlesen, wird der Notdienst, wenn die Nacht- oder Wochenendruhe gestört wird mit Anfragen, die keine Notfälle sind. Ob es der Durchfall des Hundes seit 4 Tagen ist, der am Samstag nachmittag plötzlich als wirklich beunruhigend und lästig empfunden wird, ein Katzenbesitzer nachts um drei für eine einfache Frage anruft, die ihn plötzlich umtreibt und nicht schlafen läßt, oder ob der Notdienst einfach aufgesucht wird, um lästige Wartezeiten zu vermeiden, all dies sind gefühlte Rücksichtslosigkeiten, die den Notdienstleistenden zusätzlich belasten. Umfragen unter Notdienst
leistenden Tierärzten ergeben, dass solch Verhalten zunehmend häufiger anzutreffen ist. Während der Tierarzt früher oft durchschlafen konnte, und das Telefon nur für echte Notfälle klingelte, für die jeder Tierarzt sofort und gern aus dem Bett springt, spiegelt der Notdienst heutzutage oft mangelnden gesunden Menschenverstand, schlichte Unkenntnis über Bagatellerkrankungen, und manchmal sogar blanken Egoismus wieder. Aussagen, dass im Notdienst die Wartezeit kürzer sei, oder man ja ansonsten für den Tierarztbesuch Urlaub nehmen müsste, sind nicht dazu angetan, einen freiwilligen Nachtarbeiter aufzuheitern. Über dieselben Entwicklungen beklagen sich im übrigen auch Krankenhäuser.
Und dann für umsonst?
Was die Arbeit im Notdienst nicht leichter macht, ist dass die Zahlungsmoral häufig schlecht ist. Es wird über „Abzocke“ geschimpft, wenn es außerhalb normaler Arbeitszeiten deutlich teurer ist, und manchmal wird schlicht und einfach gar nicht gezahlt. Ohnehin scheint es wenig bekannt zu sein, dass tierärztliche Praxen kleine Betriebe sind, die ihre Unkosten wieder hereinbringen müssen, wollen sie nicht pleite gehen. Je nach Lage und Ausstattung sind die Unkosten unterschiedlich und daher nicht miteinander vergleichbar.
Bei Tierärztinnen kommt noch hinzu, dass sie sich nachts allein mit fremden Kunden nicht immer sicher fühlen. Berichte von angetrunkenen Besitzern, die laut werden oder mit Tätlichkeit drohen, wenn sie bezahlen sollen, sind zwar noch selten, kommen aber leider vor.
All das führt dazu, dass immer mehr Tierärzt/innen zu dem Schluss kommen, dass der ständige Notdienst sie kaputt macht, und es die Sache einfach nicht wert ist.
Finanzspritze zur Gesundung des Systems
Gerade Kliniken, die einen ganze Apparat mit Hilfspersonal und teuren Geräten vorhalten müssen, konnten von dem geringen Zuschlag zu Notdienstzeiten ihr Personal schon vor der konsequenten Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes kaum bezahlen oder gar alle Unkosten decken. Jetzt ist es gar nicht mehr zu finanzieren.
Zugegeben, für den Tierhalter ist eine verdoppelte Rechnung erstmal happig, dennoch ist Fakt, dass Klinikinhaber mit so einer Abrechnung noch reichlich Minus machen. Betriebswirtschaftler haben errechnet, dass eine kostendeckende Notdienstversorgung durch Angestellte nur zum 5 fachen des normalen Satzes gewährleistet werden kann.
Weil die tierärztlichen Berufsordnungen vorschreiben, dass eine Klinik einen 24/365 Notdienst gewährleisten müssen, um sich „Klinik“ nennen zu dürfen, haben inzwischen viele Kliniken ihren Status zurückgegeben. Sie haben nur reduzierte Öffnungszeiten und haben sich einen Namen gegeben, der mit keinen Auflagen gekoppelt ist – wie etwa Tiergesundheitszentrum. All dies sind Facetten eines komplexen Systems. Gelöst werden könnte es nur durch wesentlich höhere Tarife, aber dazu müsste auch der Gesetzgeber anerkennen, dass die Tierärzteschaft inzwischen an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gebracht wurde und dass es Zeit ist, die Interessen der Tierärzteschaft gleichwertig mit denen der Tierhalter zu behandeln. Betrachtet man die jährlich steigenden Umsätze von Tierfutter- und Zubehörhandel, zeigt sich, dass Geld für Tiere da ist und dass die Gewinnmargen dieser Branche die von Tierärzten weit übersteigen. Dennoch wird der Leiter eines Zoofachhandels wesentlich seltener als Abzocker bezeichnet als ein Tierarzt im Fernsehen. Die Schere zwischen öffentlicher Wahrnehmung und Realität des Tierarztberufes klafft bedrohlich weit auseinander. Betrachten wir zum Abschluss den Notdienst eines Schlüsseldienstes. Jeder weiß, dass es richtig teuer wird, wenn man außerhalb normaler Zeiten, den Schlüssel im Haus vergessen hat und der Schlüsseldienst kommen muss. Solche Abrechnungen fürchtet jeder, aber niemand sonst hat die Kompetenz, um verschlossene Türen zu öffnen und einen aus der Kälte wieder ins Haus zu lassen. Schlüsseldienste können so abrechnen, dass sie ihre Mitarbeiter für die Nachtschichten ordentlich bezahlen können und alle weiteren Unkosten gedeckt sind. Möglicherweise ist das Problem der deutschen Tierärzte auch einfach, dass sie nicht nur respektiert, sondern auch noch gemocht werden möchten…
Dr. Viola Hebeler
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